Für viele Christen hat das ‚Volk‘ im Sinne einer Abstammungsgemeinschaft eine ebenso von Gott eingesetzte Qualität wie Familie, Kirche, Arbeit/Wirtschaft oder Staat. Während wir jedoch für die genannten vier Institutionen klare Belege dafür in der Bibel finden, dass Gott sie geschaffen hat, sie will und ihnen für bestimmte Aufgaben Autorität verleiht (z.B. 1. Mose 1,26–27; Römer 13,1–7; Epheser 1), finden wir dies nirgends für die Institution ‚Volk‘. Völker entstehen in der Bibel zum einen daraus, dass Menschen Kinder haben, aber auch durch Vermischung durch Heirat, Wanderung und Kriegsfolgen.
Wenn es für Christen überhaupt ein besonderes Volk gibt, dann sind es die Juden, und gerade vom Volk Israel sagt Gott, dass er es keinesfalls erwählt hat, weil es etwas Besonderes wäre (5 Mose 7,7–8) und zudem nur, um alle anderen Völker der Welt zu segnen (1Mose 12,1–3), nicht um ihnen zu schaden. Und selbst für Israel galt und gilt, dass es sich nicht über seine biologische Abstammung definiert, sondern über seinen Glauben und seine gemeinsame Geschichte. Denn schon im Alten Testament brachen Teile der Abstammungslinien aus dem Volk Israel weg, gingen Israel „verloren“ und entwickelten ihre eigene Geschichte und Kultur (z. B. Esau und seine Nachkommen). Zudem wurden manche Nichtjuden durch Bekehrung zu vollwertigen Juden (z. B. Moses Schwiegerverwandtschaft, die Hure Rahab mit ihrer Familie, Rut).
Es gilt gerade angesichts des Versagens vieler Christen im Nationalsozialismus:
„Die einzige Antwort darauf ist – und evangelikale Christen haben eine heilige Verantwortung, sie ohne Furcht oder Parteilichkeit zu verkündigen –, dass keine Nation Heilsqualität besitzt und dass alle Völker und jeder Einzelne aufgrund genau des gleichen göttlichen Maßstabes der Gerechtigkeit gerichtet werden …“ [John Warwick Montgomery. Christians in the Public Square. CCLJ: Edmonton (Kanada), 1996. S. 96]
Es gibt keine biblische Berechtigung für die Einordnung des – rassisch-biologisch gedachten – Volkes als eigener Autoritätsstruktur und als von Gott eingesetzter Schöpfungsordnung neben und in Abgrenzung zum Staat, der im Regelfall ja immer wenigstens einige Bürger völlig anderer Abstammung beherbergt. Mit Karl Barth wende ich mich gegen die „Erhebung des Begriffes ‚Volk‘ in die Reihe der theologisch-ethischen Hauptbegriffe“ [Karl Barth, Die Kirchliche Dogmatik, Studienausgabe Bd. 19: Die Lehre von der Schöpfung III,4 §§ 52–54: Das Gebot Gottes des Schöpfers 1. Teil, Zürich 1993 (1951), S. 345], so dass das Volk plötzlich und angeblich zu einer „Schöpfungsordnung“ wie die Familie wird. Gott hat dem Staat das Gewaltmonopol gegeben, der Kirche das „Predigtmonopol“, der Familie das „Erziehungsmonopol“, der Wirtschaft das „Arbeitsmonopol“. Das biologische „Volk“ dagegen hat keinerlei Autorität über irgendjemanden, ja, es gibt es so eigentlich gar nicht. Praktisch alle Staatsvölker sind historisch gesehen Mischvölker, und die Muttersprache hat mit der rassischen Zugehörigkeit zunächst einmal gar nichts zu tun, denn oft sprechen mehrere Völker dieselbe Sprache oder finden sich mehrere Sprachen innerhalb eines Volkes.
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