Sollen wir unsere Rechtsprechung zur Blasphemie ändern, weil unsägliche Filme und Karikaturen einen Teil der Muslime so ärgern, dass sie mit Zerstörung oder gar Mord reagieren?
Wo sind wir denn eigentlich, dass uns Mörder vorschreiben, was wir in unserem Land dürfen und nicht dürfen?
Ich bin Christ. Ich lebe damit, dass die Pressefreiheit auch die tägliche Dosis Spott, Karikatur, aber natürlich auch die ständige gediegene Auseinandersetzung mit dem Christentum mit sich bringt. Manchmal ist es zum Schmunzeln, manchmal zum Nachdenken, manchmal nervt es oder ärgert einen gar. Aber ich bin froh, dass wir keine Religionspolizei haben, die das kontrolliert, begrenzt und bestraft. Denn ich befürchte, dass die morgen mich inhaftieren, wenn ich meine Meinung sage oder mich mit Andersdenkenden auseinandersetze.
Ob es für Verunglimpfung Andersdenkender eine rechtliche Grenze geben und wo genau sie verlaufen sollte, muss man sicher diskutieren, auch wenn man hier sehr vorsichtig sein sollte, da die Erfahrung lehrt, dass Blasphemiegesetze selten gerecht auf alle gleichermaßen angewandt werden. Aber warum sollten wir diese Grenze von Mördern Tausende Kilometer weg festzurren lassen?
Und warum sollte es dabei eigentlich nur um den Schutz einer Religion gehen? Warum sollte dann nicht jede Religion geschützt werden? Warum nicht jede Weltanschauung? Warum nicht gleich die Würde jedes Menschen? Warum schreien jetzt manche auf, wie man nur den Islam so angreifen könne, die sich noch nie vor Christen, Bahai oder Humanisten gestellt haben?
Hat am Ende der Recht, der mit Gewalt über oder mit ihr droht? Oder der, der sich – wie die islamischen Dachverbände – dahinter versteckt, er könne dann nicht dafür garantieren, dass es nicht zu Gewalt käme?
Hier ist natürlich auch der deutsche Blasphemieparagraph schief gewickelt, denn er stellt Blasphemie nur unter Strafe, wenn dadurch der öffentliche Friede gefährdet ist. Kein Wunder, dass die seltenen Fälle, in denen es zu einer Verurteilung kam, alle mit der Kritik am Islam zu tun haben, denn alle anderen Religionsanhänger gefährden nicht den öffentlichen Frieden.
Noch etwas:
Die Medien nehmen wieder jeden in Sippenhaft, den sie nur im Entferntesten mit den Spinnern in Verbindung bringen können, die diesen Film produziert haben (die TAZ verdächtigt etwa ohne jeden Beweis die Evangelikalen, obwohl sich die Weltweite Evangelische Allianz nun wirklich seit Jahren häufig und deutlich von solchen Produkten distanziert), lassen aber die dann ja x-fach vorhanden sein müssende Empörung über die vermissen, die Leute umbringen, die ja allesamt mit dem Film nicht das Geringste zu tun haben.
Auszug aus meinem Bundestagsgutachten (27.10.2010)
(siehe hier: http://www.thomasschirrmacher.info/archives/1683)
Menschenrechtsausschuss des Deutschen Bundestages, 10. Frage: Gibt es in anderen europäischen Staaten ähnliche Paragraphen wie den § 166 des deutschen Strafgesetzbuches, der die Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen unter Strafe stellt, wenn dadurch der öffentliche Frieden gestört wird? Inwieweit schränken solche Gesetze die Religionsfreiheit in Europa ein?
Ähnliche Paragraphen gibt es in fast allen Ländern mit einer katholischen Bevölkerungsmehrheit wie Österreich, Irland, Spanien, sowie in unseren Nachbarländern Schweiz und Niederlande. Ihre Anwendung ist sehr selten, was aber vor allem an der Rechtsprechung zur Presse- und zur Kunstfreiheit liegt, die meist auch auf Verwendung religiöser Themen und Symbole bezogen wird.
So wurde in einem der ganz wenigen Fälle vor deutschen Gerichten im Februar 2006 etwa ein 61jähriger zu einer einjährigen Bewährungsstrafe und 300 Sozialstunden verurteilt, der das Wort ‚Koran‘ auf Toilettenpapier druckte und die Rollen im Internet zum Verkauf anbot.
Seit 2009 ist Gotteslästerung in Irland wieder strafbar (25.000 €). Fälle sind noch keine bekannt. Aber auch hier gilt: nur wenn nachgewiesen wird, dass die Störung des öffentlichen Friedens durch Empörung der Beschimpften beabsichtigt war, kann die Strafverfolgung einsetzen.
Blasphemieparagrafen waren in der Geschichte in der Regel darauf ausgerichtet, den Glauben der Mehrheitsreligion zu schützen. Das kann man sehr gut in Griechenland beobachten, wo der Blasphemieparagraf eigentlich die ‚Ehre Gottes‘ schützt, tatsächlich aber auf die Abwehr von Kritik am griechisch-orthodoxen Glauben abzielt.
§ 166 und ähnliche Gesetze sind eine Folge davon, dass man nicht mehr die Mehrheitsreligion und schließlich auch nicht nur Körperschaften des öffentlichen Rechts schützen wollte. Das Preußische Strafgesetzbuch von 1851 schützte etwa in § 135 die anerkannten christlichen Kirchen vor Verspottung, nicht die sog. Freikirchen und nicht andere Religionsgemeinschaften. 1872 traten dann alle mit Körperschaftsrechten ausgestatteten Religionsgemeinschaften hinzu, also etwa die jüdische Gemeinschaft, weiterhin aber nicht alle christlichen Kirchen.
Eine Problematik, die etwa in Deutschland oder Irland bei der heutigen Fassung der ‚Gotteslästerungsparagrafen‘ entsteht, ist, dass ein friedlicher Protest mit friedlichen Konsequenzen keinen Schutz auslöst. Muss man also, um in den Genuss des Schutzes des § 166 zu gelangen, etwa selbst unfriedliche Maßnahmen ergreifen oder aber den jeweiligen Gegner oder eine andere religiöse Gruppe so provozieren, dass diese zu unfriedlichen Mitteln greift? Oder anders gesagt: die friedliche Begegnung im Protest wird hier gewissermaßen diskriminiert, die unfriedliche dagegen könnte zum Erfolg führen. Ich sage „könnte“, da der Paragraf praktisch nie angewandt wird.
Literatur: Arnold Angenendt, Michael Pawlik, Andreas von Arnauld de la Perrière. Religionsbeschimpfung: Der rechtliche Schutz des Heiligen. Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte 42. Berlin: Duncker & Humblot, 2007
‚Defamation of Religion‘
Die Organisation Islamischer Staaten will bekanntlich im UN-Menschensrechtsrat die immer wieder beschlossenen Resolutionen gegen die Kritik an Religionen (‚Defamation of Religion‘) durchsetzen, deren jährliche Verabschiedung (die nächste Abstimmung ist im November 2010) derzeit zum Glück keinerlei Rechtskraft hat.
Dass in den beschlossenen Texten, wie sie die Staaten der Organisation Islamischer Staaten vorgelegt haben, vor allem der Islam und dann noch Christentum und Judentum namentlich erwähnt werden und keinerlei individuelle Rechte angesprochen werden, zeigt, dass es hier nicht um Religionsfreiheit geht, sondern darum, die Religions- und Meinungsfreiheit anderer Religionen und nichtreligiöser Menschen einzuschränken. Hier steht das islamische Denken Pate, das den Islam als letzte und größte Offenbarung sieht, daneben Christentum und Judentum einen Sonderstatus gibt und alle anderen Religionen und den Atheismus als Götzendienst oder Verwerfung Gottes ansieht. Wie ernst die Lage ist, zeigt sich daran, dass Qatar im Menschenrechtsrat erneut den Versuch gemacht hat, die Resolution durch ein Zusatzprotokoll zu den Antidiskriminierungsbestimmungen über den Rang einer reinen Erklärung herauszuheben und in die verpflichtenden Menschenrechtsstandards einzubringen. Die Logik ist, dass es die Menschenrechte einer Religion verletze, wenn sie kritisiert werde. Warum soll das dann aber nicht für jede Form der Kritik gelten und wie soll dann noch Gedanken-, Gewissens- oder Pressefreiheit möglich sein? Es ist erfreulich, dass sich hier die Staaten der EU in ihrer Ablehnung einig sind.
Nachtrag: 2011 und 2012 hat die OIC diesen Antrag nicht erneut gestellt.
Hier das vollständige Gutachten als PDF-Download
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